Rietbergs Stadtgeschichte muss neu gedacht werden

Ein Luftbild zeigt eine Grabungsfläche am südlichen Altstadtrand
Luftbild mit der Lage der Grabungsfläche am südlichen Altstadtrand, Blick vom Norden. Foto: EggensteinExca/R. Eilermann

Ausgrabungen am Klingenhagen bringen neue Erkenntnisse

Rietberg. Die Rietberger Altstadt, entstanden vor rund 730 Jahren, ist wohl schon zur Gründungszeit systematisch angelegt worden. Das belegen neueste Funde und Grabungen, die Fachleute des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, jetzt in Rietberg entdeckt haben. Bisher galt in der Forschung die Annahme: Rietberg wurde um 1240 als kleine Stadt beiderseits der heutigen Rügenstraße gegründet. Am Rathaus gab es einen kleinen Markt und die Stadt nahm erst in den nachfolgenden Jahrhunderten das heutige Altstadtgebiet ein, so die Vermutung.

Nun aber steht fest, dass die um die Mitte des 13. Jahrhunderts geplant angelegte Stadt bereits von Anfang an großflächig bebaut wurde. Das belegt der nun entdeckte Graben und die einstige Straßenführung. Angedeutet hatte sich dies bereits bei einer Ausgrabung 2022 in der Sennstraße 2-4. Dort wurden um 1250 gefällte Bäume als Rohmaterial für die ältesten Brunnen identifiziert, die den neu angesiedelten Bürgern Frischwasser lieferten.

Bei der aktuellen Grabung im Klingenhagen 17-19 bestätigt sich eine Bebauung um oder bald nach der Mitte des 13. Jahrhunderts. Archäologin Marianne Moser leitet die Ausgrabung und sagt: „Das Bruchstück eines Kruges aus dem Töpfereizentrum Siegburg bei Bonn liefert uns den ersten sicheren Anhaltspunkt für diese frühe Datierung. Die guten Erhaltungsbedingungen für Holz werden es uns hoffentlich ermöglichen, weitere frühe Daten anhand der Jahrringe der Bäume festzumachen – im besten Fall des genaue Fälldatum der Bäume.“ In den kommenden Wochen nehmen Fachleute des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) sämtliche Spuren unter die Lupe, bevor die Entdeckungen für einen Neubau weichen werden.

Doch die Neubürger am südlichen Stadtrand mussten auch einige Nachteile in Kauf nehmen: Die gesamte Grabungsfläche lag in einer feuchten Senke, in der sich flächig torfartige Sedimente ablagerten und so eine teilweise mehr als 50 Zentimeter dicke Schicht bildeten. Für Dr. Sven Spiong, Leiter der Bielefelder Außenstelle der LWL-Archäologie für Westfalen, steht deshalb fest: „Die Neubürger am südlichen Stadtrand von Rietberg mussten die Schwellen der Fachwerkhäuser teilweise auf Pfosten legen, die bis tief in den anstehenden Sand reichten.“

Mindestens ein Hausgrundriss deutet sich anhand der Spuren ehemaliger Schwellbalken als Grundlage eines Fachwerkhauses direkt nördlich des Grabenverlaufs an. Von eingetieften weiteren Holzkonstruktionen haben sich in einigen Fällen noch die Böden erhalten. Das Grabungsteam erhofft sich von weiteren Funden noch Hinweise auf die Funktion dieser Einbauten.

Die Umflutung der Ems folgte möglicherweise einem älteren Flussarm. Das gesamte Gelände war vor der Stadtgründung sicher häufiger vom Emshochwasser betroffen. Der Wall der Stadtbefestigung südlich des Klingenhagens hatte somit in späterer Zeit außer seiner Verteidigungsfunktion und der als Grenze des Stadtrechts, dem die Bewohner unterlagen, auch noch einen weiteren Zweck: Hochwasserschutz.

Am Nordrand der Grundstücke errichtete man bald einen Graben, möglicherweise um einerseits die Fläche etwas trockener zu bekommen. Andererseits wurde das Ufer des offenen Gewässers mit Holzpfosten befestigt und als Brauchwasser genutzt. Für welche Gewerke das Wasser zum Einsatz kam, wird sich erst nach Auswertung der Grabung genauer klären lassen.

Text: Stadt Rietberg/Pressemitteilung der LWL-Archäologie für Westfalen

  • Von einem mittelalterlichen Lederschuh hat sich das Oberleder sehr gut im feuchten Untergrund erhalten.
    Von einem mittelalterlichen Lederschuh hat sich das Oberleder sehr gut im feuchten Untergrund erhalten. Foto: EggensteinExca/M. Moser
  • Ein flacher Graben ist an der Seite eines Grundstücks neben der Straße zu erkennen
    Der flache Graben für Brauchwasser an der Südseite des Grundstücks war nur etwa 100 Jahre in Nutzung und wurde noch im 14. Jahrhundert verfüllt. Eine Pfostenreihe an der Grabenkante stammt von der ehemaligen Uferbefestigung. Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/S. Spiong